"Ich kam die reissenden Flüsse herab..."

„Ich kam die reissenden Flüsse herab…“

Einige (wenige) Clubmitglieder waren auf der Sommer JEM in Nikolsdorf. Was Apollo 13 mit Camping zu tun hat, der Vorteil von Österreich bei Sonne und die Kleidungsprobleme reisender Künstler….

„Dieses Buch ist nicht gerade für Warmwasserhahnleute geschrieben“
H. Rittlinger

„Are we go for Launch?“ Ich habe immer neidisch auf Mr. Kranz geschaut, der auf seine Frage prompte und präzise Antworten bekommt (hier anzuschauen). So wünschte ich es mir auch, ist doch der logistische Aufwand für 14 Tage Camping und Kanufahren in Österreich kaum geringer als der Aufwand, eine Saturn V ins All zu bekommen. Wohnwagen, Zelte, ausreichend warme Kleidung? „GO!“; Paddel, Spritzdecken, Helme, Boote, Wurfsäcke? „GO!“, Essensvorräte und alkoholische Getränke? „Ähhh“, und bloß nicht die Ladegeräte für Handy, MP3 Spieler, Laptop und Campinglampe vergessen.
Schließlich haben wir alles zusammen, der Rundgang um das Gespann zeigt, daß kein vergessenes Stromkabel mehr steckt, und es kann losgehen. Schönstes Wetter, der Stau um München hält sich in Grenzen, und wir schaffen es Freitag abend noch bis auf einen ruhigen Campingplatz zur Zwischenübernachtung. Leider gewittert es inzwischen gewaltig, so daß der traditionelle bayrische Schweinsbraten beim Kistnerwirt leider nicht draußen eingenommen werden kann.

„Oder es fahren welche mit Kind, Kegel und Wohnwagenanhänger , motorisierte Neuromantiker, durch die Gelände Europas“


Samstag: Meine Befürchtungen nach der Fahrt durch den Tauerntunnel im Vorjahr bestätigen sich nicht: Die Felbertauernstrecke ist praktisch leer, und auch mit Gespann problemlos zu befahren, so daß wir schon am frühen Mittag in Nikolsdorf sind. Elke und Josef haben schon Plätze „reserviert“, so daß wir mit 3 Wohnwagen eine ruhige Ecke abteilen können. Der erste Rundgang über den Platz zerstreut weitere Befürchtungen:  ausreichende Sanitäreinrichtungen, die zwar einem strengen Prüfer des ADACs nicht reichen würden, aber für Kanuten geradezu luxuriös und auch in den folgenden Tagen nie überfüllt. Später am Nachmittag rollen auch die restlichen Clubmitglieder auf den Platz, und sorgen für leicht angehobene Augenbrauen: Langboote! Bin ich auf der falschen Veranstaltung?

„Auf silbernem Fluß durchs Gebirge“

Sonntag: Zum Warmwerden geht es erst mal auf die Drau. Die Drau führt reichlich Wasser, und wir finden am Ufer sogar ein ruhiges Kehrwasser um die Langboote sicher ins Wasser zu bekommen. Wir anderen in den Kurzbooten müssen dann aber sehen das wir hinterher kommen. Die Drau erfreut mit guter Strömung, kleineren Wellen sowie reichlich Kehrwässern, so daß wir uns alle gut einfahren können. Da 12 km manchen nicht reichen, wir die Strecke gleich doppelt gepaddelt.

Montag: Noch einmal eine Tour für unsere Langbootfahrer, auf der Drau von Nikolsdorf bis Dellach.

„So hoch oben vom Zug aus sah die tief sich im Tal schlängelnde Möll anmutig aus, unschwer für unseren Sport. Aber der Eindruck trügt sehr“

Dienstag: Jetzt wollen wir es wissen, lassen die Langboote am Platz und begeben uns in die Hände eines Fahrtenleiters: Möll von Außerfragant bis zum Stausee! Das Wetter sieht die Fahrt wohl eher kritisch und versucht uns mit Regen und Nebel abzuschrecken. Das stört aber nicht wirklich, da man auf der Möll vor lauter Wellen eh nicht mehr viel sieht. Im Nebel verschwindet der Fahrtenleiter zwar ab und an, aber die Möll weiß ihren Weg auch so. Das Training auf der Drau macht sich bezahlt, wir überstehen sogar die heimtückische Attacke unseres Fahrtenleiters, uns kurz vor der Pausenstelle am Campingplatz Obervellach noch auf der „falschen“ Seite in ein Kehrwasser zu locken. So müssen wir in der Welle traversieren, was aber alle ohne Kenterung schaffen.

Mittwoch
: Zur Entspannung wieder etwas leichtes, auf die Gail von St. Daniel bis Jenig. Herrlicher Sonnenschein und eine wunderschöne Landschaft lassen uns zu der Erkenntnis kommen, das Österreich doch bei Sonne schöner ist. Allein die Einstiegstelle lohnt schon die Anfahrt.

Donnerstag: Die meisten gehen Wandern, ich aber nutze den Tag um mir die „Kultur des bepaddelten Raumes“ – wie es der neue EPP verlangt – anzuschauen. Sehenswert der Kosakenfriedhof Lienz, der an das Schicksal der Kosaken nach dem 2. Weltkrieg erinnert.


Auch das Lesachtal mit der Kirche in St. Daniel ist sehenswert – auch dort Gedenkentafeln, die diesmal an den 1. Weltkrieg erinnern. Ob beim Kanufahren an der Soca, ob beim Wandern in den Dolomiten, oder hier im Lesachtal – zahlreich sind im Alpenraum die Erinnerungen an diese „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts.

Freitag: Bevor Entzugserscheinungen aufkommen, vertrauen wir uns erneut unserem bewährten Fahrtenleiter an. Erneut geht es zur Gail, diesmal ein Stückchen flußaufwärts nach Birnbaum. Schon die erforderliche Kurbelei am Lenkrad auf der Anfahrt läßt es erahnen – ein absolut abgeschiedenes Flußtal, fernab von Straße und Zivilisation. Landschaftlich wunderschön, und auch eine Herausforderung an die Technik. Man erzählt sich die Schauergeschichte eines Hilfsfahrtenleiters, der nach dieser Tour seine Zukunft noch einmal überdacht haben soll und doch etwas seriöses machen will … Meine Tochter und ich sind danach aber glücklich, wenn auch etwas müde, und nehmen das Angebot eines benachbarten Supermarktrestaurants zur „happy hour“ (Essen zum halben Preis) gerne an. Man konnte dort übrigens immer eine größere Anzahl Paddler wiedertreffen.

Samstag: Noch einmal die Drau, zur Entspannung….. Inzwischen ist der Sommer richtig da, mit Temperaturen über 30 Grad, so daß der nachmittägliche Besuch in dem auf einem kleinen Hochplateau mit Blick über das Drautal und Nikolsdorf gelegene Schwimmbad sich zum Pflichtprogramm entwickelt. Das Abkühlen gelingt leicht, da die Wassertemperatur nur knapp über dem von Gletscherwasser liegt.

Sonntag: Da alle wieder Wandern oder Faulenzen, kurbel ich ein paar Höhenmeter auf dem Mountainbike und mache Fotos.

Montag: Heute ein einfaches Stückchen Möll, von Döllach nach Namlach.

Dienstag: Mit einigen anderen geht es noch einmal auf die Gail von St. Daniel.

„Sie stemmte kurz darauf mit beiden Händen das Paddel in die Höhe, und wir ahnten ihren Juchzer,
obwohl wir ihn nicht hören konnten“

Mittwoch: Inzwischen fühlen wir uns sicher, und gehen ohne die Komplikation eines Fahrtenleiters auf die Möll von Außerfragant. Alle anwesenden Clubmitglieder (ja alle!!). Wieder bestätigen sich die Vorzüge von Österreich bei Sonne. Alles läuft prächtig, und hätten nicht unsere Langbootfahrer leider verfrüht abreisen müssen, wir hätten die wahrscheinlich auch noch heile herunterbekommen. Die Jugendabteilung übt das Surfen an der Welle in Obervellach sowohl im Kanu als auch auf einem mittels Seil fixierten Brettes.

„Sie stieß ab, wurde herumgerissen, sauste durch die Brücke und trieb wie ein Kork auf- und niederhüpfend
und immer kleiner werdend im tobenden Gewoge … hinunter“

Donnerstag: Als Abschluß jetzt noch mal etwas neues, die Isel ab Ainet. Schon bei der Anreise konnte man bewundern wie sich sich zu Tal wälzt. Es wird eine feuchte, aber schöne Tour, die wir mit gemütlichen Treiben lassen auf der Drau beenden.

Abends dann der absolute Höhepunkt des Kanu-Camps: Der Kanutenball! Schon Tage vorher sah man immer wieder verschieden Gruppen zusammenstehen, tuscheln, plötzlich verschwinden und mit möglichst unbeteiligter Miene wieder auftauchen. Jetzt endlich wird die Bedeutung allen klar: Die Fahrtenleiter geben Einblick in ihr schwieriges und gefahrvolles Leben, und haben auch keine Kosten und Mühen geschaut, bekannte Unterhaltungsgruppen einzuladen:

Leider ist mir der Name der Gruppe nicht bekannt – ich bin für Hinweise dankbar. Aber der Abend ist nicht zu Ende! Ein Abordnung des Bolshoi Balletts führt Auszüge aus „Schwanensee“ vor! Dabei war der Auftritt kurz vorher noch gefährdet, denn die umfangreiche Ausrüstung war irgendwo auf dem Flug verlorengegangen. Allerdings lassen sich Surfshirts eines bekannten französischen Händlers und Neoprenspritzdecken auch anders verwenden. Das Publikum rast und tobt wie bei den Stones.

Freitag: Abreisetag! Wie immer ist alles viel zu schnell vorbei, und auf der Rückfahrt empfängt uns nicht nur mal wieder ein Stau bei München, sondern auch Regen und Kälte. Dafür fahren wir fast an Waidring, den Zielort für 2010, vorbei und können uns schon mal überlegen, ob wir uns bis nächstes Jahr wohl gut genug erholt haben, um einen solchen Sommerurlaub fern von Wellness und Entspannung an einem Hotelpool erneut überstehen zu können.

Mein (absolut subjektives) Fazit:

  • Sehr gute Organisation, mit Renate als immer freundlicher Bürobesetzung
  • Sanitäre Anlagen ebenfalls gut ausreichend und immer gepflegt
  • Breites Angebot verschiedenster Schierigkeitsgrade, so daß alle etwas passendes finden konnten
  • Verbesserungswürdig ist die Anmeldung zu den einzelnen Fahrten – mein morgendliches Einsteigen in überfüllte Nahverkehrszüge ist dagegen geradezu gemütlich
  • Mein Dank geht an die Fahrtenleiter, besonders Jörg und Willi!
  • Danken möchte ich auch Gerhard Noll von den Essener Faltbootfahrern, der mir einige seiner Fotos zur Verfügung gestellt hat.
  • Alle Zitate aus: Herbert Rittlinger: Das baldverlorene Paradies, F.A. Brockhaus, Leipzig 1943. Als Nachdruck im Pollner Verlag, viel schöner aber in der Erstausgabe, die man immer noch relativ leicht bei einem Internetantiquariat bekommen kann.